Ein Tag für die Katz
Unser heutiger Weg führte uns zum Bahnhof Kishi. Diesen erreicht man von Wakayama aus mit der Kishigawa Linie. Diese machte 2006 aufgrund der geringen Passagierzahlen so große finanzielle Einbußen, dass die Kosten radikal gesenkt werden mussten, um die Einstellung der Strecke zu verhindern. So wurde das gesamte Personal entlassen und ortsansässige Verkäufer nahe gelegener Geschäfte übernahmen nebenher die Aufgaben der ehemals angestellten Bahnbediensteten.
Unter anderem kam so der Lebensmittelhändler Toshiko Koyama ins Spiel, der sich schon länger um eine am Bahnhof lebende Gruppe streunender Katzen kümmerte. Unter ihnen war Tama.
Die drei-farbige Katzendame wurde 2007 zur Bahnhofvorsteherin ernannt und hatte von nun an die Aufgabe, in eigens für sie angefertigter Mütze, die ankommenden Fahrgäste zu begrüßen.
Schnell sprach sich die außergewöhnliche Situation herum und führte in Windeseile zu einem Anstieg der Passagierzahlen und einer immensen Umsatzsteigerung. Für Tama bedeutete das eine Beförderung. Als Oberbahnhofsvorsteherin hielt sie in dem 36 Mann starken Unternehmen den fünfthöchsten Rang inne. Ein stillgelegtes Fahrkartenhäuschen wurde zu ihrem Arbeitsplatz, welcher vom Bürgermeister der Stadt höchstpersönlich eingeweiht wurde.
Es folgten Kinderbücher, Werbeartikel und diverse Fernsehauftritte, die dem Unternehmen nicht weniger als 7,5 Mio Euro Umsatz eingebrachten. Es blieb so natürlich nicht aus, dass Tama 2010 zur „Geschäftsführerin“ ernannt und 2013 zur „stellvertretenden Präsidentin des Bahnunternehmens“ befördert wurde.
Am 22. Juni 2015 verstarb Tama schließlich im Alter von 16 Jahren und wurde von mehr als 3000 Menschen mit einer Beerdigung verabschiedet. Nachfolgerin wurde kurz darauf Nitama (Tama die Zweite), die bereits seit 2012 Tamas offizieller Lehrling war.
So kam es, dass eine Katze nicht nur einen vergessenen Bahnhof wiederbelebte und Arbeitsplätze für mehr als vier Personen schuf, sondern auch als Hoffnungsträger für andere verloren geglaubten Bahnhöfe voranging.
Und ihre Bekanntheit reicht weit. Schon am über eine Stunde entfernten Bahnhof in Wakayama hängen Comicbilder von Tama und beim Fahrkartenkauf wird man von den Angestellten auf ihre Arbeitszeiten hingewiesen. Wir hatten im Internet zwar gelesen, dass sie mittwochs und donnerstags frei hat, entschieden uns jedoch trotzdem den Bahnhof zu besichtigen. Der Bahnangestellte in Wakayama, ein älterer Herr, wies uns beim Fahrkartenkauf noch einmal etwas betreten darauf hin, dass Tama heute frei habe, lachte dann jedoch erheitert, als wir meinten, trotzdem dahin zu wollen. Wir bezahlten den Fahrpreis mit einem 2000 Yen Schein und vernahmen eine eigenartige Reaktion: der Bahnangestellte nahm den Schein entgegen und drehte sich breit lächelnd und auf den Schein deutend zu seinen beiden Kollegen um, die sofort in ein freudiges Erstaunen verfielen. Ählich erging es uns ganz am Anfang der Reise, als eine Verkäuferin mehrmals ehrfürchtig nachfragte, ob sie den Schein wirklich entgegen nehmen solle und sich anschließend unwahrscheinlich freute. Dieses Phänomen möchte ich an späterer Stelle noch einmal erläutern.
Wir saßen also im Zug, mit zwei weiteren Europäern, was angesichts der Abgeschiedenheit selten ist, und warteten auf die Abfahrt.
Die Strecke führte durch eine ländliche Gegend, in der eine Kaki-Plantage auf die andere folgte. Ziemlich in der Pampa stieg eine arg große Touristengruppe, aus Chinesen bestehend, zu und nahm im Zug Platz. Von nun an staunten wir alle gemeinsam über die Landschaft und den uns entegegen schippernden Tama-Zug: ein Zug, welcher über und über mit Klebern der Katze verziert war. Wenn dieser schon für so viel Aufregung und Begeisterung sorgt, wie soll das dann erst am eigentlichen Bahnhof werden? Wir hatten ja keine Ahnung…
Der Kishi Bahnhof war einer der kleinsten Bahnhöfe, die ich in ländlichen Ǵegenden mitgeschnitten hatte. Nur hatte dieser Ohren und wurden von einer Horde Chinesen und vier Europäern gestürmt.
Nitama selbst hatte wie bereits erwähnt frei, doch bot der Bahnhof selbst allerlei Kuriositäten!
Überall hingen unzählige Fotos von Tama und Nitama, es gab ein kleines Museum mit Ausstellungsstücken wie beispielsweise Tamas Dienstkleidung und Orden.
Es gab einen Platz, an dem Menschen aus aller Welt Bilder und Katzenfutter ablegten, einen kleinem Laden mit allem – wirklich allem Schnickschnack, den man sich vorstellen kann (natürlich alles auf die Bahnhofskatzen zugeschnitten).
Da wir rückzu unbedingt den bunten Tama-Zug nehmen wollten, hatten wir nach Plünderung des Ladens noch etwas Zeit, um ins Tama-Café zu gehen und ein Tama-Eis, sowie ein Tama-Törtchen zu essen (die Spezialität neben Tama-Kaffee oder -tee, Tama-was-weiß-ich-nicht-noch-alles und Hot Cats, das Pendant zu Hot Dogs). Ich fragte den älteren Herrn, der wie ich denke Tamas ursprünglicher Pfleger war, ob sie denn hier auch ein Zimmer habe und schon sprudelte es aus ihm heraus. Auf japanisch erzählte er uns über den Bahnhof und zeigte uns anschließend die Stelle, an der Tama, ihre Mutter und ihre Kollegin beerdigt wurden und wo für sie ein kleiner Schrein immer eine Schüssel Reis bereithält.
Krönender, passender und zu erwartender Abschluss war der Tama-Zug, der innendrin wie ein liebevoll eingerichtetes Katzenwohnzimmer aussah. Das kann man sich am besten anhand der Bilder vorstellen.
Unseren Abend verbrachten wir in Kobe, einer wunderschönen Stadt am Meer. Wir besuchten den Meriken-Park, wo eine Stelle noch an das große Erdbeben von 1995 erinnert: ein Teil der zerstörten Hafenmauer wurde zum Gedenken so belassen, wie das Erdbeben sie damals verformte.
Im angrenzenden Habour Land, welches durch Schiffe, ein Riesenrad und den Hafen Tower hell erleuchtet war, aßen wir in einem japanischen Restaurant das teure und für die Gegend berühmte Kobe Beef – zartes Rindfleisch.
Zu guter Letzt komme ich noch einmal auf den misteriösen 2000Yen Schein zurück, der allerorts für Verwunderung sorgt.
Diesen gab es nämlich vor 2000 gar nicht, sondern wurden erst anlässlich des Milleniums in nicht sehr hoher Auflage gedruckt und kam so kaum in den Umlauf. In Japan selbst hatten wir noch nie so einen Schein in der Hand – nicht als Wechselgeld und nicht als Automatenauszahlung. Viele Automaten erkennen diese Banknote nicht einmal an. Beim Geldtauschen in Deutschland bekamen wir jedoch gleich drei der seltenen Exemplare (was nicht ungewöhnlich sein soll) und stießen nun bisher immer auf erstaunte Gesichter, die sich glücklich schätzen, diesen Schein einmal selbst in der Hand gehalten zu haben.
Unseren dritten Schein werden wir wohl selbst behalten.
Bilder
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2 Kommentare
Mu
Hallo ihr zwei, das liest sich wieder toll, wir sind begeistert. Was es nicht alles gibt, diese „verrückten“ Japaner. LG Mu&F
Uwe
Krasse Geschichte. Ziemlich verrückt, aber sympathisch…
Und dass Ihr einem immer den Mund wässrig machen müsst… Schlimm! 😉