Japan,  Japan 2014

Schutt und Asche

Durch die Suche nach Geocaches gelangten wir heute wieder an viele ungewöhnliche Orte. Wir standen auf dem Dach des Bahnhofes und schauten auf das Getümmel unter uns, wir waren in einem kleinen Tempel, der direkt in einem Einkaufscenter stand, wir betrachteten Sendai vom Observationsdeck eines Hochhauses aus und wir fanden einen Schrein auf einem anderen Hochhausdach. Unterwegs fanden wir unerwarteter Weise ein Pokémon Center, an welchen wir natürlich nicht vorbeigehen konnten.

Am späten Nachmittag nahmen wir den nächsten Zug, der zum Flughafen fährt. Auch hier in der Nähe ist ein Cache versteckt, dessen Besitzer bei jedem Fund 100€ für die Opfer der Tsunamikatastrophe spendet. Das war auch unser eigentliches Ziel. Der Flughafen liegt nur etwa 800 Meter von der Küste entfernt. Von der Küste, von der aus vor 3 Jahren ein gigantischer Tsunami alles mit sich gerissen hat, was ihm in den Weg kam. Der Flughafen selbst war komplett zerstört, wurde aber innerhalb kürzester Zeit wieder aufgebaut (Japaner sind im Flughafenbau etwas schneller als die Deutschen). Wir gingen unseren Nasen nach Richtung Küste und es fiel sofort auf, dass hier nur noch Brachland war. Auf dem Weg zum Meer kamen wir an verschiedenen Betonfundamenten vorbei, die früher einmal kleine Holzhäuser auf sich trugen.

In einer riesigen Anlage arbeitete eine Maschine an der Zerkleinerung der Trümmerteile, die in Unmengen angespült wurden. Aufgrund der enormen Masse werden die zerkleinerten Trümmer zu Haufen aufgeschichtet, die begrünt als Aussichtspunkte dienen werden. Selbst abends sind viele Arbeiter damit beschäftigt, neue Wege zu bauen. Ein Denkmal, welches an die Katastrophe erinnert, wurde gebaut (und von uns wahrscheinlich eingeweiht, da das ganze Gebiet eigentlich gesperrt war) und stellte den Mittelpunkt eines großen, neu angelegten Platzes dar, umsäumt von Aussichtsdecks. Wir arbeiteten uns immer weiter vor zur Küste, toleriert von den ganzen fleißigen Aufbauern.

Am Rand der neu asphaltierten Straße lag ein Aussichtsturm aus Eisen, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt war. Das Meer war nicht mehr zu sehen. Aus Angst vor einer neuen Riesenwelle wurde ein steinerner Wall errichtet – so weit das Auge sehen kann. Nicht so groß, dass es eine weitere solche Wassermasse abhalten kann, aber hoch genug, um den Menschen zumindest Hoffnung für ihre Mühen zu verleihen.

Wie eine Armee, die das Hinterland beschützen soll, stehen viele kleine neu angepfanzte Bäumchen bereit und bilden das einzige Leben in der kargen Landschaft.

Überall liegen verbogene Schilder, Balken und Schutt. Wir liefen wortwörtlich auf den Trümmern der Vergangenheit. Schuhe, Scherben von Fensterscheiben und Suppenschüsseln liegen im Dreck.

Das, was für viele Familien einmal alles bedeutet hat, ist ein einziges großes Nichts. Und das Nichts war erschreckender, als alles Andere, was ich mir vorgestellt hatte. Selbst 3 Jahre nach dem Tsunami, 3 Jahre voller schweißtreibender Arbeit, sind nur kleine Details zu erkennen, dass hier einmal wieder Leben einkehrt.

Wir hatten genug gesehen, hatten uns ein Bild von dem gemacht, was unsere Nachrichten schon lange nicht mehr verfolgen, weil es uns zu Hause nicht so betrifft, wie ein zerstörtes Atomkraftwerk ein paar Kilometer weiter. Aber für tausende Menschen, die immer noch in Notunterkünften hausen, ist das Thema Sendai noch so aktuell wie vor Monaten.

Auf dem Weg zurück scharrte ich mit der Schuhspitze an einem roten Stück Keramik und wir staunten nicht schlecht: René zog eine unversehrte kleine Schüssel aus dem Dreck. Wenn sie bis jetzt nicht kaputt gegangen ist und allen äußeren Einflüssen standgehalten hat, soll sie nun nicht von einer Planierraupe zerdrückt werden. So steht sie nun als ein kleines Stückchen eines vergangen Lebens auf unserem Love-Hotel-Tisch.

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